[ Texte ] |
"Schlagzeugler"
"Ed Bickert
& Jim Hall"
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"Saxophon" - Jazzfieber in Glarus (um1930)
von Werner Fischer
Das Saxophon, das zweitwichtigste Attribut der als 'Jazz' bezeichneten neuen Tanzmusik, ist prägendes Moment im Inserat der Mineralquellen Elm AG aus dem Jahr 1930. Mit folgenden Zeilen stimmt im Sommer des gleichen Jahres der Glarner Verkehrsdirektor Eugen Wyler das Loblied auf die Hochsaison an: "Welch eine Melodie vibriert in diesem Wort! Hochsaison, das bedeutet lautlose Fahrt breitachsiger, staubbedeckter Wagen, Berge von Gepäck mit etikettenstrotzenden Bäuchen, ein Album fremdtöniger Gesichter. Bedeutet lichtflirrende Hotelhallen, springende Boys, schleppende Portiers, lächelnde Direktoren, krumme Rücken, rasselnde Telephone, Schreiten über Teppiche, silberfunkelnde Speisesäle, Tennisplätze, Kodaks, Bergesgipfel, Kartengrüsse, weisse Hemdbrüste, suchende Augen, Geständnisse, Versprechungen, Spleens, Jazz!"
Die Entwicklungen im Tourismus - mit Automobil, Strandbad und Wintersport -, der beginnende Sport- und Jugendlichkeitskult sowie die neuen Medien Film, Schallplatte und Radio sind Bereiche, in deren Zusammenhang wir bei der Durchsicht von Glarner Zeitschriften und Zeitungen der 1920er und 1930er Jahre immer wieder auf die Bezeichnung 'Jazz' stossen. Auffallend dabei ist, wie inhaltlich breit und offen der Begriff verwendet wird. Im eigentlichen Sinn meint der Begriff eine besondere Musik. Darüber hinaus steht 'Jazz' in jenen Jahren aber ganz allgemein für Tempo, Jugend, Zeitgeist, oder Modernität, Neuerung, Fortschritt oder auch Rhythmus, Exotik und Ekstase.
Während die ersten Vorboten der 'Jazz-Manie' in die Jahre 1924 und 1925 fallen, können die Jahre zwischen 1928 und 1935 als eigentliches 'Jazz-Age' im Glarnerland bezeichnet werden - ein 'Jazz-Age' allerdings von geringer Intensität im Vergleich mit den städtischen Ballungszentren der Schweiz. Auch laufen laufen die beliebten volksmusikalischen Tanzanlässe zu keinem Zeitpunkt auch nur Gefahr verdrängt zu werden: Auf eine 'Jazz'-Veranstaltung kommen auch im Spitzenjahr 1930 mindestens zehn traditionelle Tanzanlässe. Nach 1935 nimmt die Zahl der 'Jazz'-Anlässe oder anderer Nennungen des Begriffes schnell und markant ab. Die 'Jazz'-Mode hat sich totgelaufen, und selbst die Bezeichnung verschwindet bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs praktisch ganz aus den publizistischen Erzeugnissen des Kantons.
Aufs Musikalische reduziert lässt sich der 'Jazz' dieser frühen Jahre in den hiesigen Breitengraden am ehesten als ab Noten gespielte leichte Unterhaltungsmusik bezeichnen, in der weder Improvisation noch eine individualistische Tongebung von Bedeutung sind. Es dominieren eingängige Melodien, unterlegt mit leicht tanzbaren, klaren Rhythmen.
Die 'Hochburgen' der 'Jazz'-Tanzveranstaltungen liegen im Hauptort Glarus, im Städtchen Weesen und den Gemeinden des Unterlandes - in Niederurnen, Oberurnen, Näfels und in etwas schwächerem Ausmass auch in Netstal. Für Tanzveranstaltungen ausserhalb dieser Gemeinden wird mit dem Begriff nur äusserst selten geworben. Sogar jene Tanzkapellen, die 'Jazz' sonst regelmässig in ihrem Namen führen, verzichten dort darauf.
Ein
im Fremdenblatt erschienener Artikel bestätigt diesen geografischen
Sachverhalt auch fürs Jahr 1943, als die 'Swingwelle' die 'Jazz-Manie'
längst abgelöst hat:
"Reden wir einmal von einem Landesteil, in welchem es keine beineschlenkernden,
hüfteverrenkenden Swingboys und Swingmaiden gibt. Bemalte Fingernägel,
knallrote Lippen (kussecht!), Obsifrisur und weitere Errungenschaften einer
modernen Kultur fristen hier nur ein kärgliches Dasein. Falls doch einmal
ein Prachtsexemplar (siehe oben!) auftritt, wird es sogleich zum allgemein bestaunten
Meerwunder. Weiter: Keine Hotelkasten, keine Bars, keine Kurorchester, keine
Bälle, rein nix!
Eine langweilige Gegend!
Dafür aber saubere Dörfer mit einer gesunden Bevölkerung. Fabriken
und Werkstätten mit schaffenden Menschen. Arbeitende Bauern auf Feldern
und Wiesen. Luchsingen, Hätzingen, Diesbach, Betschwanden im Glarner Hinterland
(von den etwas städtisch angehauchten Glarnern im Hauptort Schafweide genannte)
- langweilige Dörfer! - Aber dennoch schön! -".
Quellen
Eugen Wyler, "Hochsaison", in: Fremdenblatt für Glarnerland und
Walensee, 8.8.1930. - David Kundert, "Langweilig? - aber schön!",
in: Fremdenblatt für Glarnerland und Walensee, 16.7.1943. - Fremdenblatt
für Glarnerland und Walensee von 1920 bis 1945. - Glarner Nachrichten von
1920 bis 1945.
Literatur
Eric Hobsbawm, The Jazz Scene, New York 1993. - Heinrich Baumgartner, "Jazz"
in Zürich um 1920, Zürich 1989.
in:
Christoph H. Brunner, Glarner Geschichte in Geschichten, Baeschlin, Glarus 2004,
S. 414f.